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Dies ist der zweite Teil des Gesprächs mit Till Wahnbaeck. Lies den Teil über ungeduldigen Optimismus, Mindset und Marathonläufe hier.

Was ist Wirkung und wie ist sie messbar?

Bei Impacc skaliert ihr lokale, nachhaltige Geschäftsideen in Entwicklungsländern, die nachweislich positive soziale Wirkung haben, indem ihr Spenden sammelt und dann investiert. Wie definiert ihr denn nachhaltige Wirkung?

Ich gehe mal einen kleinen Schritt zurück, um das Modell zu erklären, und dann kann ich, glaube ich, auch besser sagen, wie wir Wirkungen messen. Wir sind eigentlich – ich sage das manchmal flapsig – eine Hilfsorganisation, die denkt, sie wäre eine Venture-Capital-Bude. Also wir gehen dahin, wo typischerweise Hilfsorganisationen hingehen: wo Not herrscht, wo Menschen in Armut leben (also von weniger als zwei Dollar am Tag), und machen da nicht die klassische Projektarbeit (also: Geld ins Projekt, Geld ausgeben, Geld alle, Projekt zu Ende – und wieder von vorne), sondern machen das, was typischerweise Investoren machen. Nämlich: Man gibt Geld in eine Unternehmung und hofft, dass sie langfristig erfolgreich ist und wächst. Das Problem ist, dass Investoren normalerweise nicht in diese von Armut betroffenen Gegenden gehen, weil es nicht profitabel genug ist – zu riskant, vielleicht zu unsicher. Und deshalb decken wir sozusagen diese Nische ab. Nicht mit dem kommerziellen Geld, das Geld verdienen will, sondern mit gemeinnützigem Geld, also mit Spenden, die wir zu Beteiligungen machen. Und mit dieser Vorrede kann ich jetzt, glaube ich, deine Frage ein bisschen besser beantworten.

Uns geht es nicht darum, unsere Ideen aus dem globalen Norden nach Afrika zu bringen. Das haben wir, glaube ich, als Gemeinschaft zu viele Jahrzehnte gemacht – und es funktioniert ja auch nicht sonderlich gut. Unser Ziel ist es, zu gucken, was gibt es schon für tolle Ideen vor Ort? Ideen, die auch unternehmerisch überzeugen. Also genau das, was man hier auch machen würde: Man sieht ein tolles Start-up mit einer tollen Gründerin und denkt sich: Mensch, das hat Potenzial. Da geben wir Geld rein, damit es noch erfolgreicher wird. Und insofern wäre unsere erste Frage: „Was ist eigentlich nachhaltige Entwicklung?“ – Das ist für uns eine Kombination aus einem tollen Gründer oder einer tollen Gründerin mitten im Geschäftsmodell, bei der wir denken: „Wow, das hat das Potenzial zu wachsen und als Geschäft erfolgreich zu sein.“ Wenn das der Fall ist, beteiligen wir uns mit gemeinnützigem Geld. Also: Wir sind klassische Investoren, aber das Geld ist gemeinnützig. Wir ziehen da nie etwas raus. Und wenn wir Geld verdienen, dann bleibt es im System für die nächste Generation.

Und das ist die erste Definition von nachhaltig: Glauben wir, dass ein Unternehmen, in das wir investieren, langfristig mehr Geld verdienen wird, als es ausgeben kann? Und wenn die Antwort „Ja“ ist, dann kann es als Unternehmung bestehen und überleben.

Und wie messt ihr diese Wirkung?

Eine spannende Frage, weil wir unsere Wirkung oder unseren Impact nicht in Euro messen. Geld ist natürlich wichtig, damit die Unternehmen bestehen können. Aber das eigentlich Wichtige aus unserer Sicht ist, dass diese Unternehmen Jobs schaffen. Und das ist unsere Definition von nachhaltiger Wirkung. Also: Finden wir Geschäfte, Unternehmungen, die ein Geschäftsmodell haben, das Menschen in Lohn und Brot bringt? Und wenn du das in Gegenden mit Armut machst, dann ist das eigentlich die beste Art der Armutsbekämpfung. Denn ein Job ist der beste Weg aus der Armut. Und in den Entwicklungsländern werden neun von zehn Jobs von genau solchen kleinen Unternehmen der Privatwirtschaft – dem, was wir Start-ups nennen würden – geschaffen. Wir gucken uns Unternehmen an, die aus unserer Sicht das Potenzial haben, Arbeitsplätze zu schaffen, Jobs zu schaffen. Und manche Menschen bleiben vielleicht nur ein Jahr in diesem Job, aber immerhin hast du ein Jahr lang, zwölf Monate, einem Menschen Geld gegeben – und Würde und ein selbstbestimmtes Leben. Und das ist eigentlich, finde ich, immer der schönste Beleg für Nachhaltigkeit.

Klassische Entwicklungshilfe ist tot – und birgt Potential

Jetzt hast du relativ deutlich eine Kritik an klassischer Entwicklungszusammenarbeit geäußert – und das ist ja auch nichts Neues. Im Bereich der postkolonialen Theorien wird diese schon seit Jahrzehnten angeprangert. Und du hast im Prinzip gezeigt, wie ihr eine Lösung gefunden habt, gleiche Ziele zu erreichen – also Armutsbekämpfung, aber auf einem anderen Weg. Warum machen wir das nicht schon längst so? Wieso passiert das nicht genauso auf staatlicher Ebene? Die könnten ja auch Gelder investieren, oder?

Ja, ich sehe die klassische Entwicklungszusammenarbeit teilweise kritisch, aber gleichzeitig würde ich auch nicht sagen, dass wir jetzt irgendwie die perfekte Lösung gefunden haben, die alle Probleme löst. Das ist unseriös, und jeder, der dir sagt, er hat jetzt die eine Lösung gefunden – vor dem lauf schreiend weg! Denn diese gibt es nicht. Entwicklung ist ein komplexes Feld. Und es gibt viele Bereiche, in denen Business- oder wirtschaftliche Ansätze auch nichts zu suchen haben: der Bildungsbereich zum Beispiel oder Demokratieförderung.
Aber der Bereich der Armutsbekämpfung hat per Definition etwas mit Geld zu tun. Und in der Privatwirtschaft wird viel Geld verdient. Zumindest da kann man eigentlich neue Ansätze gehen, die ein bisschen nachhaltiger sind.

Warum macht das jetzt bisher noch keiner – oder warum wird es so wenig gemacht?

Interessanterweise stehen wir uns da selbst im Weg. Also: In Deutschland sind wir die Ersten, die aus Spenden Beteiligungen machen dürfen. Jetzt könnten wir stundenlang über Gemeinnützigkeitsrecht sprechen, aber letztendlich gibt das deutsche Finanzamt vor, dass du als gemeinnützige Organisation eine Spendenbescheinigung ausstellen kannst, das Geld bekommst – und es innerhalb von zwei Jahren ausgegeben haben musst. Das ist das Konzept der „zeitnahen Mittelverwendung“. Und wenn du es in zwei Jahren nicht ausgegeben hast, kommt das Finanzamt und sagt: Ihr seid nicht gemeinnützig, ihr sitzt auf eurem Geld.

Unser Ansatz war zu sagen: Wir geben das Geld schon aus – es arbeitet für die Armutsbekämpfung. Aber die Werte sind noch in unseren Büchern, weil wir Beteiligungen für unser Geld kriegen mit dem Ziel, diese Beteiligung irgendwann, wenn sie erfolgreich sind, abzustoßen. Und dann bleibt das Geld im System und finanziert die nächste Runde. Das ist eigentlich eine viel smartere Art, finde ich, mit Geld umzugehen. Nicht einmal verpuffen, sondern langfristig einsetzen. Und das war – bis wir gekommen sind – in Deutschland so nicht möglich. Wir haben es letztendlich hinbekommen, dass das Finanzamt gesagt hat: Sie geben uns Brief und Siegel, dass wir Spenden nutzen dürfen für Investitionen in Start-ups, die Jobs schaffen in Gegenden von Armut. Und dass wir die Werte bei uns behalten dürfen, irgendwann verkaufen – gerne auch mit Profit – aber nie für uns als Gesellschafter, sondern für die nächste Generation.

Die Frage, warum Staaten das nicht machen, hat etwas Ähnliches. Eine Bundesregierung, BMZ oder GIZ dürfen einer Organisation kein Geld geben, damit die das investieren – aus dem gleichen Grund. Es ist immer dasselbe Problem. Irgendwer ist mal dummerweise auf die Idee gekommen: Gemeinnützige Gelder sind nur dann gut, wenn man sie schnell ausgibt. Das müssen wir überwinden.
Wir haben das jetzt bei uns im Kleinen als Hilfsorganisation geschafft, was cool ist. Und ich finde, der nächste Schritt ist, dass man das Ganze jetzt auf die staatlichen Ausgaben ausweitet. Es ist Zeit, dass wir uns fragen, wieso diese Investitionslogik eigentlich immer nur zum Geldverdienen eingesetzt wird? Oder: Warum kann man nicht die gleiche Logik für Wirkung anwenden?

Und insofern ist die Antwort auf deine Frage hier die gleiche: Auch Staaten tun sich schwer. Es gibt natürlich sehr viele KfW, staatliche Banken, Entwicklungsbanken – die geben dann Kredite. Aber das sind häufig ganz andere Größenordnungen und keine Start-up-Finanzierungen. Das sind kleine Unternehmen, ganz viele davon – und die meisten gehen ein, weil sie nicht an Geld kommen. Und ich glaube, da ist der entscheidende Hebel. Da müssen wir noch ein dickes Brett bohren, damit dann in Zukunft mehr Organisationen und auch mehr Staaten das machen dürfen.

Und wenn wir wieder von Dringlichkeit sprechen und ich mir die geopolitische Lage anschaue, etwa die Einstellung von USAID-Projekten: Welche Rolle spielen jetzt Organisationen wie die deine, Stimmen wie die deine, wenn es um nachhaltige Entwicklung geht?

Die Entwicklungshilfe, wie wir sie kennen, ist de facto tot. Und zwar eigentlich seit ungefähr drei Monaten. Also in dem Moment, wo Donald Trump USAID eingestampft hat, war der größte Geber der Welt von einem Tag auf den anderen weg. Die holländische Regierung hat jetzt auch die Hälfte des Entwicklungsbudgets eingestampft und in England sind Gelder von Entwicklungshilfe zu Panzern umgeleitet worden. Das ist ein riesengroßer Schock fürs System – und es ist ein völlig inakzeptabler insofern, als da wirklich Menschen sterben.

Die Einstellung von Nothilfe ist unmoralisch und nicht zu rechtfertigen. Aber diese Nothilfe ist ja nur die Hälfte der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit generell. Und ich glaube, dass in diesem Schock – den ich mir so nicht gewünscht hätte – durchaus auch eine Chance liegt.
Und ich glaube, die Chance liegt darin, dass man sagt: Das Geld, was noch übrig ist, lass uns das komplett in die Nothilfe stecken. Denn da muss man einfach schnell helfen, wenn es irgendwo eine Überschwemmung gibt oder eine Dürre, in Kriegssituationen. Und da darf man keine Fragen stellen – das kostet einfach. Aber alles andere, die langfristige Projektarbeit, die kann man smarter und cleverer und langfristiger machen. Und insofern würde ich eigentlich sagen (das ist vielleicht wieder der Optimist, der in mir rauskommt): Lass uns diesen Schock nutzen und für diesen Teil der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit neue Lösungen finden. Und das, was wir da im Kleinen versuchen, kann durchaus einen Beispielcharakter haben.

Diese kommerziellen Investitionsgelder, die gibt’s ja noch, aber die kommen häufig nicht zum Einsatz, weil die erste Sprosse auf der Leiter fehlt. Das Risiko muss ein bisschen aus den Systemen genommen werden. Wenn uns das gelingt, diesen Sektor zu stärken, dann schaffen wir geduldiges Kapital, das dann andere Investoren anzieht. Und dann haben wir, glaube ich, den Verlust von Entwicklungshilfe überkompensiert – und vielleicht auch ein Modell, das ein bisschen besser funktioniert.

Persönliche Wirkung in drei Schritten

Und da sehen wir auch wieder die Balance zwischen Dingen, die schnell und kurzfristig passieren müssen, und dem langfristigen Blick auf heikle Themen, die wir angehen müssen.
Du hast eingangs gesagt, dass sich durch deinen Lebenslauf immer wieder der Wunsch zieht, Wirkung zu erzielen, Dinge zu verbessern in dieser Welt. Was ist denn deiner Meinung nach der erste Schritt zu mehr persönlicher Wirkung?

Ich glaube, ich würde diesen einen Tipp in drei Untertipps aufteilen: Kopf, Herz und Hände. Ich glaube, um Wirkung zu erzielen, brauchst du ein heißes Herz, einen kühlen Kopf und starke Hände.

Und dieses heiße Herz hängt mit der Frage zusammen: Wofür schlägt denn eigentlich mein Herz? Was ist meine absolute Leidenschaft? Was ist das Feld, auf dem man Wirkung erzielen will, weil man einen inneren Drang verspürt? Ich glaube, das kann man sich nicht anlesen. Das muss ein Stück weit aus einem selbst kommen.

Wenn du dieses heiße Herz hast für ein Thema, käme der zweite Tipp dazu: Jetzt brauchst du einen kühlen Kopf. Ich bin ja auch in diesem Bereich schon seit längerer Zeit und habe immer das Gefühl: Zu viel Naivität oder Gutmenschentum oder zu viel Begeisterung, solche Themen anzugehen, ist häufig gar nicht so hilfreich. Ich glaube, du brauchst dann eine extreme rationale Seite. Du musst dir überlegen: „Okay, wenn ich jetzt mit dem heißen Herz mein Feld definiert habe, was sagt mir der kühle Kopf? Was ist das Werkzeug? Und wie gelingt es mir dann auch, vielleicht bei aller Leidenschaft zu sagen: Das funktioniert jetzt gerade nicht?“ Dann lerne ich aus Fehlern und passe an. Also ich glaube, diesen kühlen Kopf und eine extrem rationale Kombination – das wäre sozusagen der zweite Untertipp.

Und der dritte – das habe ich, glaube ich, vorhin schon angesprochen, mit der Ungeduld – die starken Hände: Man muss einfach nur machen. Es gibt diesen Spruch: Wenn die Schlauen noch diskutieren, stürmen die Dummen die Burg. Ich glaube, dass sich Erfolg und Misserfolg letztendlich wenig an der Qualität der Ideen misst, sondern eigentlich immer an der Qualität der Umsetzung. Und an der Frage, ob man es schafft, einfach rauszugehen und zu machen. Und vielleicht auch einfach mal auszuprobieren. Aus der Wirtschaft kenne ich den Spruch: „Make a little, sell a little, learn a lot!“ Denn im Zweifelsfall lernen wir – und machen es beim nächsten Mal besser. Dann kriegst du Wirkung.

Das ist jetzt kein sehr konkreter Tipp, aber ich glaube, einer, der hoffentlich alle Wirkungssuchenden anspricht. Denn Kopf, Herz und Hände haben wir alle. Die Frage ist, wie wir sie zusammen einsetzen.

Heißes Herz, kühler Kopf, starke Hände – und einfach mal machen. Eine letzte Frage, Till: Wenn du das Gefühl hast, heute ist es schwierig, optimistisch zu bleiben – was hörst du für ein Lied?

I’m Still Standing von Elton John. Das geht eigentlich immer.