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Till Wahnbaeck ist promovierter Historiker, war Manager bei Procter & Gamble, CEO der Welthungerhilfe und ist heute Gründer der gemeinnützigen Organisation Impacc, die Spenden in soziale Investitionen verwandelt. Mit Till sprach ich über wirtschaftliche und gesellschaftliche Wirkung und ihre Messung, über ungeduldigen Optimismus und darüber, warum Innovation nicht in Silos funktioniert, sondern nur durch Verbindungen entsteht.

Vom Historiker zum Social Entrepreneur: Ein roter Faden in Etappen

Till, wie schön, dass du da bist. Ich habe ja gerade schon mal so ein bisschen deinen Lebenslauf angerissen, und ich würde behaupten, der ist alles andere als klassisch. Aber ich kenne das auch selbst – man sieht ja dann doch immer irgendwo einen roten Faden. Vielleicht kannst du mal ein bisschen berichten: Wie bist du zu dem gekommen, was du jetzt machst?

Ja, das ist eine gute Frage, und ehrlich gesagt ist das natürlich ein bisschen Kraut und Rüben, wenn man sich das anguckt. Ich habe es, glaube ich, jetzt so im Nachhinein vielleicht etwas post-rationalisiert und doch einen roten Faden gefunden. Ich habe nämlich eigentlich immer nach Möglichkeiten gesucht, wie man letztendlich Werkzeuge der Wirtschaft für etwas anderes einsetzen kann als wirtschaftliche Ziele – also reiche Leute reicher machen – sondern Werkzeuge der Wirtschaft für sozialen Wandel. Und das hat mich sozusagen in diese verschiedenen Bereiche geführt.
Ganz ursprünglich habe ich mal Geschichte studiert und fand das auch sehr spannend, aber per Definition sind die meisten Menschen, mit denen man sich als Historiker beschäftigt, schon tot. Und das war mir dann irgendwie so ein bisschen zu lebensfern. Also habe ich etwas gesucht, was die Menschen heute stärker beschäftigt. Ich bin in die Wirtschaft gegangen und habe ziemlich lange Werkzeuge kennengelernt und gesammelt. Und auch das war mir irgendwann nicht mehr genug. Also habe ich die Seiten gewechselt und bin in die Entwicklungshilfe gegangen. Dort hatte ich dann aber auch das Gefühl: Die Ziele stimmen, aber die Werkzeuge haben mir gefehlt. Und jetzt versuche ich im Nachhinein, endlich auf der letzten Etappe, etwas Eigenes zu machen, was diese beiden Dinge miteinander verbindet.
Ja, ich denke, das ist der rote Faden: immer der Versuch, Wirtschaft nicht nur für die Privilegierten und Reichen zu denken, sondern für die, die ein bisschen mehr Hilfe und Unterstützung brauchen.

„Ungeduldige Optimisten“ – Haltung statt Strategie

Ihr bezeichnet euch bei IMPACC als „ungeduldige Optimisten“. Was meint ihr damit?

Meine Frau sagt immer, es gibt irgendwie keinen, der von Erkenntnis zur Umsetzung schneller geht als ich. Und ich habe schon teilweise eine etwas blöde Ungeduld im Leben. Gleichzeitig denke ich mir: Wenn man sich mit diesen großen Problemen der heutigen Zeit beschäftigt – wie Armut, Ungerechtigkeit, Klimawandel –, dann kommt man mit Geduld ja auch nicht weiter. Denn das sind Probleme, die man einfach ziemlich schnell jetzt lösen muss. So wahnsinnig viel Zeit bleibt uns nicht mehr.
Der andere Teil, der optimistische, hat wahrscheinlich auch etwas mit mir als Person zu tun, weil ich eigentlich immer eher die Chancen sehe und immer weniger die Probleme. Ich habe mal mit Achim Steiner, dem Chef von UNDP, dem UNO-Entwicklungsdienst, gesprochen. Der sagte: Wer privilegiert ist, hat die Pflicht zum Optimismus. Wenn man keine Wahl hat, wenn man nicht weiß, wie man seine Familie ernähren soll und wie man seine Kinder zur Schule schickt, dann kann man verzweifeln. Aber wenn man die Chance hat, etwas zu verändern, dann hat man eigentlich fast eine moralische Verpflichtung zum Optimismus. Und das hat mich damals sehr überzeugt und auch seitdem nicht mehr losgelassen.
Und deshalb bezeichnen wir uns als ungeduldige Optimisten. Wir wissen, dass wir etwas ändern müssen, und wir haben die Hoffnung, dass wir das auch können. Nicht Optimismus als naiver Glaube, sondern Optimismus als Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass es besser wird.

Optimismus in Krisenzeiten – eine Frage der Perspektive

Mit Blick auf die aktuelle Weltlage: Fällt es dir denn immer leicht, Optimist zu sein, oder verzweifelst du auch manchmal?

Ja, also die Welt macht es einem natürlich nicht leicht. Auf der anderen Seite habe ich als Historiker gelernt, in längeren Zeiträumen zu denken. Und wenn man sich längere Zeiträume anguckt, dann merkt man, dass eigentlich in fast allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens die Welt besser wird.
Also wenn ich mir angucke, wie viel extreme Armut es noch vor 200 Jahren gab – neun von zehn Menschen auf der ganzen Welt in extremer Armut, jetzt ist es noch einer von zehn. Wenn ich mir angucke, wie die Kindersterblichkeit zurückgegangen ist: Noch vor 50 Jahren sind 20 Prozent der Kinder unter fünf Jahren in Entwicklungsländern gestorben, mittlerweile sind es noch fünf Prozent. Also das sind alles ziemlich beispiellose Erfolgsgeschichten.
Aber ja, es gibt eine riesengroße Ausnahme, und das ist das Klima und die Umwelt. Da ist es wirklich einfach immer schlimmer geworden. Aber im sozialen Bereich hat sich sehr vieles verbessert, und das sehen wir aus zwei Gründen selten:
Der eine Grund ist, dass es in den letzten Jahren in der Tat stagniert ist und teilweise auch – zum Beispiel beim Hunger – wieder hochgegangen ist.
Der andere ist aber auch, dass wir so eine Art journalistischen Reflex haben. Wir reden in der Regel immer über die Dinge, die gerade nicht funktionieren. Die Schlagzeile ist ja nie: „Heute ist kein Flugzeug abgestürzt“, sondern die Schlagzeile ist immer: „Heute ist ein Flugzeug abgestürzt“. Das führt zu einer Verzerrung der Wahrnehmung.
Und das ist jetzt eine sehr lange Antwort auf eine eigentlich sehr kurze Frage von dir.
Manchmal hilft mir in meinem Optimismus, mich wieder einzuordnen in längere Zeitzusammenhänge und zu merken: Wir sind schon ziemlich weit gekommen als Weltgemeinschaft. Und natürlich fehlt noch wahnsinnig viel, und deshalb darf man auch nicht aufhören.
Ich denke manchmal, wir sind eher am Ende eines Marathons und nicht am Anfang des Marathons. Und das macht mir dann wiederum Hoffnung.
Aber ja, dann lese ich wieder, was in den USA gerade passiert, und das gibt mir wieder Dämpfer. Aber man kann sich aus diesen Tiefs auch selbst wieder herausholen – mit dem richtigen Mindset.

Zeitdruck und Langfristigkeit: Ein scheinbarer Widerspruch

Jetzt hast du die langen Zeiträume angesprochen, die du als Historiker im Kopf hast, und eben ging es um Ungeduld. Ich habe immer das Gefühl, es ist eine schwierige Balance zwischen diesem „Wir müssen schnell was tun, weil es brennt einfach an so vielen Ecken und Kanten gerade, wir müssen schnell Probleme lösen“ und gleichzeitig aber auch der Notwendigkeit, auch mal wieder langsamer zu werden bei so vielen Dingen – Dingen Zeit zu geben und dem Gehirn auch mal wieder Zeit zu geben, Dinge zu verstehen in der schnelllebigen Welt. Ist das für dich ein Widerspruch, lange Zeiträume und Dringlichkeit?

Ja, natürlich ist das ein Widerspruch. Aber einer, den man, glaube ich, auflösen kann, indem man nicht davon ausgeht, dass wir jetzt sofort alle Probleme von heute auf morgen lösen müssen.
Ich glaube, meine Ungeduld hat ja nichts damit zu tun, dass ich sage: „Kann man das jetzt nicht bitte einfach morgen alles neu und anders machen und abstellen?“, sondern es ist nur Ungeduld, ins Machen zu kommen.
Manchmal muss man sich einfach einen kleinen Bereich suchen und anfangen und erste Schritte gehen und dabei lernen.
Und ich glaube, dann kannst du eine Ungeduld im Machen haben und gleichzeitig – auch wenn das nicht meine Stärke ist – eine größere Geduld in der Beobachtung und in der Reflexion. Und das ist vielleicht der Weg, wie man mit diesem Dilemma umgehen kann, dass zu viel Ungeduld letztendlich auch zu unüberlegtem Handeln führt – und zu viel Geduld im Zweifelsfall zu gar keinem Handeln.
Dieses Spannungsverhältnis muss man, glaube ich, irgendwie überwinden.

Also: eine Ungeduld, den Marathon zumindest schon mal zu starten – und dann genug Zeit zu haben, ihn auch zu beenden und sich die Energie gut aufzuteilen.

Wir haben noch länger mit Till gesprochen.
Lies den zweiten Teil über Wirkung, Gemeinnützigkeit und Entwicklungshilfe hier.